Ade Kanapee – hallo Fenster. Nebenbei: Kanapee spricht sich fränkisch ›Kannabee‹ aus. Der Begriff ist dem französischen Wort ›Canapé‹ entlehnt. Darunter versteht man ein gepolstertes Sitz- beziehungsweise Liegemöbelstück, auf dem mindestens zwei Personen Platz finden – oder, mit anderen Worten: einen Zweisitzer, ein Sofa für zwei erwachsene Menschen.
Zurück zu den Basics. Zurück zum Verkehr. Wenn schon nichts am Fenster um 30 auf 7 passiert, dann mache ich etwas passierend. Basic, genauer gesagt GW-BASIC, war mein erster Berührungspunkt mit Programmierungen, mit einer Sprache, die Dinge durch die eignen Eingaben erschaffen konnte.
Meine Spielgegenstände waren diesmal [= heute] nicht ein Computer, ein Bildschirm und eine Tastatur, sondern ein Stift und ein Blatt Papier. Das Fenster war der Monitor, hinter dem man hindurchsehen konnte. Am Anfang dachte ich, die Scheibe hätte einen Riss, doch es stellte sich nur als ein wenig Dreck heraus, der vielleicht durch die zeitweise unwetterähnlichen Umstände über den Tag hinweg entstand. Ich nahm ein Stück Küchenrolle und entfernte den Schmutz. Hernach konnte es losgehen.
Nahezu ein unerträglich langer Monat des Fensterguckens zog an mir und all jenen vorüber, die einen irgendwie erträglichen Eintrag (sich) von mir erhofften, den ich mir, ich muss es nicht erwähnen, nicht gönnte – oder sagen wir es (mit) einem Deut genauer: (mir) nicht abverlangte. Mit traumwandlerischer Sicherheit würde ich behaupten, dass ich in der stillen Zeit rund zwanzigmal aus dem Fenster schaute, vermutlich wird es öfters gewesen sein, denn: Ich lugte nicht nur um 30 auf 7 heraus, sondern an manchen Tagen auch um 30 auf 8, was die gleiche Zeit in der Normalzeit entspricht [und was ich bereits er- oder geklärt hatte]. Ich wollte es irgendwann nicht mehr wahrhaben, dass mir keine Erzählung über die Lippen huschen würde, einer Reflexion würdig, als seiern(d)e Gedanken vor der Nachtruh sozusagen. In der Tat nahm ich zwar einige Male mein Diktiergerät zur Hand, deletede jedoch die Aufnahmen Minuten später wieder. Zumeist lag der Grund darin begraben, dass mir mein Gesagtes inhaltlich nicht gefiel; oder wie ich es einer Bekanntschaft kürzlich mitteilte:
Leichte Verspätung und Überminuten. Meine heutige Beschäftigung war, den Ölofen anzuzünden. Es hat beim ersten Mal geklappt. Davor hieß es sich mal wieder Zeit zu nehmen für die leidige Rasur, was auch der Hauptgrund für meine Unpünktlichkeit am inneren Fenstersims war. Zur akustischen Untermalung sorgte diesmal eine Nachbesprechung zu einer Serie, die auf einem Computerspiel basiert. Sie endete pünktlich zwanzig auf acht Uhr, dummerweise kam ich erst um 19:35 Uhr zum Rausgucken.
Die jungen Römer laufen nicht um dreißig auf Sieben nach der Normalzeit. 18 Uhr und 30 Minuten ist begraben. Ich schaue ab sofort um halb acht aus dem Fenster, das ist angenehmer. Vertexte ich einen weiteren Teil, nenne ich ihn trotzdem dreißig auf Sieben, weil das die echte Zeit ist, wenn es so eine überhaupt gibt. Über die Falschzeit habe ich allerdings schon eine ganze Prosa-Broschüre geschrieben,* von daher lasse ich jeden weiteren Kommentar aus.
Vor dem Sabbat war wenig los. Um dreißig auf Sieben bis zwanzig vor sieben Uhr sah ich nur Frauen, vier an der Zahl. Ich komme darauf zurück. Die größte Veränderung im kleinen Gartenstück entdeckte ich unmittelbar nach meiner Heimkunft aus der Ferne, die rund zwei Stunden vorher stattfand. Auch davon werde ich noch erzählen.
Eines nach dem anderen – oder (doch) erst (et)was anderes?
Eines nach dem anderen – oder (doch) erst (et)was anderes?
Heute, am Dienstag (Jom Schlischi), auf den Tag genau zwei Wochen nach dem ersten Eintrag, habe ich mal wieder um dreißig auf Sieben für zehn Minuten aus dem Fenster geguckt. Weil ich aufgrund der vorherigen Spracheinträge und der daraus resultierenden und eingefangenen ›Erlebnisse‹ – eher ›Nicht-Erlebnisse‹ – wusste, dass mich auch mit mehr Tageslicht (aufgrund der Falschzeit = Sommerzeit) nichts Hochtrabendes erwarten wird, hatte ich mich eingangs auf das Spektakel – eher ›Nicht-Spektakel‹ – vorbereitet. Aus der Vielzahl von Beschäftigungen, die ich noch ›unlieber‹ vornehme, habe ich mich für eine entschieden, da diese auch mal wieder bitter notwendig war. Das genügte mir jedoch nicht. Normalerweise zog ich es gewöhnlich – eher: bislang oder bisher – vor, still ins Freie zu sehen, doch dem war heute nicht so; oder anders ausgedrückt: Mir war einfach nicht danach.
Ich ziehe wieder an meinen Kampfplatz ans Fenster. Das Ritual ähnelt sich dem von gestern. Ich habe Durst, trank vorher aus einem Plastikbehältnis Orangensaft – ein kleiner Schluck ist noch drin –, und fülle jetzt etwa die Hälfte des Inhalts einer angebrochenen Flasche mit Apfel-/Kirschgemisch um, damit daraus letztendlich eine unansehnliche Mixtur wird. Sekunden später zünde ich mir aus Langeweile eine Zigarette an. Einziger Unterschied: Die Duftkerze ist nicht abgebrannt. Was draußen geschah, ist nicht der Rede wert. Einziger Höhepunkt war eine Frau, die aus dem nahegelegenen Friedhof kam und entweder einen Kinderwagen vor sich herschob oder eine Gehhilfe benötigte. Ich hab, um ehrlich zu sein, nicht richtig hingesehen. Die Mülltonnen am Bürgersteig sind jedenfalls verschwunden. Selbst wenn sich meine Beschreibungen bisweilen trist und abgebrochen anhören mögen, ist das trotzdem mein erster, an und für sich bewusster, Blick auf die Außenwelt für heute. Das Haus habe ich seit zwei Tagen nicht verlassen. Wozu auch? Erst morgen muss ich bedauerlicherweise wieder an dem gemeinhin genannten Leben partizipieren, welches nicht Teil meiner persönlichen Blase ist. Ergab der letzte Satz einen tieferen Sinn oder war er nur so dahin gesprochen?
18:29 Uhr. Ich öffne das Fenster. Ich habe Durst. Auf dem Fensterbrett steht eine kürzlich angebrochene Flasche mit Apfel-Kirschsaft. Ich greife nach ihr, drehe den Verschluss auf und schütte einen Teil des Inhalts in ein kleineres Gefäß aus Plastik, in dem mal ursprünglich ein Smoothie [oder so] drin war. Das kleine Teil begleitet mich schon mindestens seit dem 6. Februar 2019, eher früher. Ich mache das am Haltbarkeitsdatum fest, das immer noch auf dem abschraubbaren Deckel klebt, obwohl ich das Behältnis bereits viele Male gewaschen habe. Heute trank ich aus ihr Orangensaft. Ein wenig ist noch drin. Zusammen mit dem Getränk aus Apfel und Kirsch ergibt sich eine sonderbare Farbe. Im Kühlregal eines Supermarkts würde das Ding wohl zum Ladenhüter. Dinge, die nicht schön ausschauen, konsumiert man ungern, gleiches gilt für das Essen.