(-;-) GzN

(-;-) aufgenommen via Integrated Circuit Recorder & zeitverzögert vertextet

Dreißig auf Sieben – Teil 6
Ich ziehe wieder an meinen Kampfplatz ans Fenster. Das Ritual ähnelt sich dem von gestern. Ich habe Durst, trank vorher aus einem Plastikbehältnis Orangensaft – ein kleiner Schluck ist noch drin –, und fülle jetzt etwa die Hälfte des Inhalts einer angebrochenen Flasche mit Apfel-/Kirschgemisch um, damit daraus letztendlich eine unansehnliche Mixtur wird. Sekunden später zünde ich mir aus Langeweile eine Zigarette an. Einziger Unterschied: Die Duftkerze ist nicht abgebrannt. Was draußen geschah, ist nicht der Rede wert. Einziger Höhepunkt war eine Frau, die aus dem nahegelegenen Friedhof kam und entweder einen Kinderwagen vor sich herschob oder eine Gehhilfe benötigte. Ich hab, um ehrlich zu sein, nicht richtig hingesehen. Die Mülltonnen am Bürgersteig sind jedenfalls verschwunden. Selbst wenn sich meine Beschreibungen bisweilen trist und abgebrochen anhören mögen, ist das trotzdem mein erster, an und für sich bewusster, Blick auf die Außenwelt für heute. Das Haus habe ich seit zwei Tagen nicht verlassen. Wozu auch? Erst morgen muss ich bedauerlicherweise wieder an dem gemeinhin genannten Leben partizipieren, welches nicht Teil meiner persönlichen Blase ist. Ergab der letzte Satz einen tieferen Sinn oder war er nur so dahin gesprochen?

Tatsächlich stehe ich nicht erst seit ein paar Minuten an dem Fenster, aus dem ich jetzt schaue. Es muss so halb auf Vier gewesen sein, als ich mich nach der Telearbeit lesend dorthin postierte, und das Buch liegt, das sei zu erwähnen, immer noch auf dem Sims. Ich habe bei Seite 232 aufgehört. Eventuell ziehe ich es später noch mal heran. Mit nur wenigen Ausnahmen las ich drei volle Stunden an diesem Ort, ohne jemals auch nur auf den Gedanken zu kommen, einen kurzen Moment ins sogenannte Freie zu schielen. Diese Kunst beherrsche ich nicht erst seit gestern oder vorgestern. Ich praktiziere das oft so. Ausschließlich an Tagen, an denen es zu kalt ist, stehe ich näher am unweit entfernten Ofen oder begebe mich für eine kurze Zeit lang dorthin, um mich zu wärmen. Manchmal durchschreite ich in solchen Kaltphasen auch lesend den kleinen Raum – fortwährend vom Fenster zur Tür und wieder zurück. Heute hatte ich zu allem Überfluss sogar das Fenster sperrangelweit offen. Wenn ich mich in eine Lektüre vertiefe, vergesse ich selbst die nervigsten Geräusche, die an mich herantreten. Unfern von mir könnte eine Bombe einschlagen und ich würde mich erst darum scheren, wenn ich die Seite zu Ende gelesen hätte, vorausgesetzt es bestünde keine unmittelbare – akute? – Gefahr für mich oder andere. In dem Fall würde ich nur bis zum nächsten Punkt weiterlesen. Ich liebe übrigens Bücher mit Lesebändchen und hasse gleichermaßen solcherlei Stofffetzen. Denn wenn ich nicht imstande dazu bin, mir für ein paar Tage oder einige Wochen zu merken, auf welcher Seite ich stehengeblieben bin, dann habe ich das Buch nicht verdient in den Händen zu halten oder auf einer Fensterbank zu legen, um darin zu schmökern. Und ich lese, das sollte ich anmerken, seit vielen Jahren sieben Bücher gleichzeitig. Das ist so ein Spleen von mir, der sich irgendwann mal zufällig ergeben – eingeschlichen? – hat und dessen ›Traditionen‹ ich bis zum heutigen Tage wahre. Die Zahl hat dabei keine tiefere Bedeutung. Ich könnte zwar nicht die Titel der [jeweiligen sieben] Bände auswendig aufsagen, die Autoren da schon eher, aber die Seitenzahlen, die kann ich mir monatelang merken. Eselsohren sind was für Anfänger und Unbegabte. 

Meine Schwester kam gerade mit dem Rad nach Hause, sie wird sich freuen, wenn sie von dieser Randbemerkung irgendwann erfährt. Möglicherweise aber auch nicht. Für heute habe ich zumindest fertig. Mein 10-minütiger ›Stehkampf‹ ist vorbei und vielleicht lasse ich ihn mal für ein paar Tage gänzlich aus. Der stupide Wahnsinn rennt mir gewiss nicht davon. Derjenige, der seine eigene kleine Welt im Inneren trägt, muss nicht zwanghaft – notgedrungen? – aus einem Fenster schauen.
      
0 Gedankenkommentare
  
Welche Farbe schwingt dein Wort? ↳K()m|\/|e|\|t|€r[- es↵
H I N W E I S: Durch das Hinterlegen eines Kommentars werden deine jeweiligen Daten hier im Weblog gespeichert (siehe Datenschutzerklärung). Nach dem Klick auf ↳K()m|\/|e|\|t|€r[- es↵ öffnet sich ein neues Fenster. Dort musst du deine Identität über reCAPTCHA bestätigen. Nach dem Einstellen des Kommentars wirst du auch eine E-Mail bekommen; dennoch: Deine Daten werden nicht an Dritte weitergegeben noch anderweitig (bspw. für Werbezwecke) missbraucht und dienen ggf. nur zur Kontaktaufnahme.

Und/oder: T[-I↳€ ↙es↘ Ergebensten Dank.