Nahezu ein unerträglich langer Monat des Fensterguckens zog an mir und all jenen vorüber, die einen irgendwie erträglichen Eintrag (sich) von mir erhofften, den ich mir, ich muss es nicht erwähnen, nicht gönnte – oder sagen wir es (mit) einem Deut genauer: (mir) nicht abverlangte. Mit traumwandlerischer Sicherheit würde ich behaupten, dass ich in der stillen Zeit rund zwanzigmal aus dem Fenster schaute, vermutlich wird es öfters gewesen sein, denn: Ich lugte nicht nur um 30 auf 7 heraus, sondern an manchen Tagen auch um 30 auf 8, was die gleiche Zeit in der Normalzeit entspricht [und was ich bereits er- oder geklärt hatte]. Ich wollte es irgendwann nicht mehr wahrhaben, dass mir keine Erzählung über die Lippen huschen würde, einer Reflexion würdig, als seiern(d)e Gedanken vor der Nachtruh sozusagen. In der Tat nahm ich zwar einige Male mein Diktiergerät zur Hand, deletede jedoch die Aufnahmen Minuten später wieder. Zumeist lag der Grund darin begraben, dass mir mein Gesagtes inhaltlich nicht gefiel; oder wie ich es einer Bekanntschaft kürzlich mitteilte:
›[...] Der 'Content' am Fenster wirft allerdings aktuell wenig ab, wovon ich berichten wollen würde. Tatsächlich habe ich schon drei weitere Einträge verworfen, das heißt nicht veröffentlicht. Nicht, weil sie schlecht waren, sondern weil ich die Aussagen zu schäbig fand. Das kann ich besser. Ich hab sogar die digitalen Notizen vom Rekorder gelöscht. Die Zeit läuft mir nicht davon.‹
Die Geduld, das will ich mir mal an der Stelle selbst eingestehen, läuft mir indes davon, sie kam mir zwar bislang nicht abhanden, und dennoch (oder gerade deswegen) bin ich es leid, ihr Schritt auf Schritt stumm und stillschweigend zu folgen. Das schwere Los habe ich mir wie ein hartes Stück Brot in eine ungesalzene Suppe selbst eingebrockt. Ehe das flüssige und halbwegs genießbare Mahl, mit den schäbigen Krumen darin, kalt wird, greife ich zum sprichwörtlichen Löffel und winde mich um das Innere der Backwaren herum, bis zu dem Punkt, wo ich mit einem beiläufigen Blick vermuten könnte, dass in der vorgestellten Schüssel der letzte Tropfen der Brühe (endlich) verschwunden sein sollte, größtenteils aufgesaugt von mir, zu einem kleinen Teil (wohl auch) vom Brot. Dazwischen werde ich es in jedem Fall tunlichst unterlassen, irgendwelche Geschichten zu erfinden. Das wäre zu einfach, ein Verstoß gegen meine eigenen, aufoktroyierten Regeln und insbesondere abseits von allem, was ich unter Authentizität verstehe.
Um 30 auf 7 [Uhr] am siebten Sonntag der Osterzeit, dem Sonntag nach Christi Himmelfahrt (Exaudi), also an einem letzten Sonntag vor dem Pfingstsonntag – landläufig im Jahr 2024 bekannt als ›Muttertag‹ [eine Erfindung von Blumenindustriellen*] –, stellte ich mir nach dem Fenstergucken eine hypothetische Frage, die aus dem Gesehenen in mir ad hoc, unvermittelt, aufkam. Ich beantwortete mir die Angelegenheit nicht, denn sie war ihrer Natur nach rhetorisch. Wie, oder vielmehr: aus was [nicht wovon!], sie entstand, kann ich durchaus preisgeben. Ganz zu Beginn sah ich eine Frau in der Mitte ihres Lebens, eine andere weibliche Gestalt im erhöhten Greisenalter, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine nahe Verwandte, in einem Rollstuhl herumschieben. Zum Ende hin, da sah ich eine fünfköpfige Familie in Begleitung der vermeintlichen Schwiegermutter, Mutter oder Großmutter des Weges gehen. Das jüngste Geschöpf der Gruppe wurde im Kinderwagen vom möglichen Kindsvater auf den Bürgersteig kutschiert. Es wäre nun allemal vorstellbar, dass eben dieses Kleinkind im Säuglingsalter in dreißig, vierzig oder gar fünfzig Jahren seine, an besagtem Tag anwesende, Oma (oder was auch immer) auf gleichem Pfade herumfahren könnte. Ob Rollstühle dann noch Räder haben werden, sei dahingestellt. Alles andere Unvorstellbare wäre nur mit einer liniengeschnieften Prise aus Erträglichem und einer erhaltenden Brise von unerträglicher Leichtigkeit im Sein vereinbar. Für mich ist jenes sanftmütige Seinsgefühl aktuell in weite Ferne gerückt, daher beende ich den trostlosen Eintrag untröstlich, und doch innerlich mit mir selbst im Reinen; kurzum: in einem erträglichen Friedens- und Freiheitszustand.
___
* Sobotta/Glas. Lästerbacken unter sich: Kongeniale Radotagen im Mai 2021. Seite 38–39 (›Die lästerliche Historie des Vatertages‹). Epubli, Berlin 2021. ISBN 978-3-7541-2541-0.
Online (ohne Korrekturen sowie Anmerkungen) nachzulesen hier: http://zombiekingshouse.blogspot.com/2013/05/herrentag-mannertag-vatertag-und-wie-es.html.