(-;-) GzN

(-;-) aufgenommen via Integrated Circuit Recorder & zeitverzögert vertextet

6 Tage - Zerdringen
2003, Mitte Februar. Es hatte geschneit und ich bin Vater geworden. Mein Sohn musste im Krankenhaus bleiben. Ich weiß gar nicht mehr warum, wahrscheinlich habe ich den Grund zerdringt. Er - also der Grund, nicht der Sohn - spielt heute im großen Ganzen allerdings überhaupt keine Rolle mehr. Kein Wort ist von Nöten, um zu erwähnen, dass sich die beiden jungen Eltern gemeinsam dazu entschieden ebenso dort zu verweilen, wo ihr Nachwuchs im physischen Körper das Licht der unnatürlichen Welt erblickte, so traurig solche Orte mit all ihrer Sterilität auch sind. Für uns war es ein Geburtshaus - nicht mehr, nicht weniger. Am besten schnell rein und schnell wieder fort, das war unser Plan. Daraus wurde leider nichts dank der verfahrenen Begleitumstände, aus Sicherheitsgründen, nennen wir es mal so. Ich glaube es lag an einer Verunreinigung im Blut, die gegen unsere rasche Abreise zu dritt sprach. Eine unsagbar lange Woche Zwangsaufenthalt war die Folge daraus. 

Es ist nicht ungewöhnlich, eher normal, dass junge Mütter nicht den Braten herauspressen und unmittelbar danach ihn in der Fremde belassen, um selbst den vertrauten Weg nach Hause anzugehen. Mütter machten das damals nicht, machen es heute nicht und werden es in Zukunft in der Tat nicht so handhaben, es sei denn man zwingt sie dazu per Gesetz oder ähnlichem. Junge Väter - in gleicher Situation - ziehen es in aller Regel aber ungemein gerne vor, Frau und Kind hinter sich zu lassen. Einen Erben zu bekommen zwingt förmlich dazu auf einen Freudentaumel zu versprühen, und dafür eignet sich ein Spital nicht wirklich. Schwallende Brülllaute mit wilder Gestikulation sind stille Tabus, von denen man definitiv Abstand halten sollte. Rauchen ist offenkundig da verboten, es gibt keinen Alkohol, Spaß fühlt sich anders an. Und ja, dieser junge Vater - ich - hätte das auch gerne getan. Hupend und grölend gen Heimat zu fahren, der ganzen Welt die frohe Botschaft übermitteln, auf so richtige "Mannesart" eben. Die für mich absolut nicht nachvollziehbaren Aspekte, damals, verhinderten jedoch ein derart (un-)angemessenes - aber allemal nachvollziehbares - Verhalten, welches Freude und Wonne zum Ausdruck bringen würde. Es war ungewöhnlich damals, es wird ungewöhnlich heute sein und es wird wahrlich in der Zukunft eher die Seltenheit bleiben: Männer verweilen nicht bei Frau und Kind, denn diese Symbiose braucht ihre gemeinsame Ruhe. An was dieses Mannsgehabe liegt, will ich nicht näher beleuchten, womöglich wirft es ein eher unrühmliches Bild auf mein Geschlecht und junge Väter insbesondere.
Wie auch immer, ich blieb, gegen die Wehklagen der Schwestern am Tag und vor allem derer ungehobelter Gestalten der Nacht, die wohl den gleichen Job verrichteten. Ich blieb die volle Woche in diesem irrsinnig großen Gebäude. Ich machte mir mein Lager direkt neben dem mit Plexiglas umhüllten Pädiatriebett meines Nachwuchses. Zwei Besucherstühle mit Lehne genügten mir, einer für den Oberkörper und ein weiterer auf dem ich meine Beine ablegte und ausstreckte, dazwischen eine kleine Lücke. Eine Decke bekam ich seinerzeit nicht. Die Mutterzunft hatte es da wesentlich ein wenig gemütlicher. Für sie gab es eine Gemeinschaftsunterkunft gleich nebenan. Ein Raum in einem Raum, abgeschottet mit Rigipsplatten, allemal von außen her schon ein billig anzumutendes Ambiente. Innen, so glaube ich, gab es nicht mal Betten, lediglich Matratzen auf den Boden, vielleicht mit einem Lattenrost darunter; meine Erinnerungen sind leider sehr vage, es ist ja auch schon eine Zeit lang her - und das ist wahrscheinlich besser so. Jedenfalls, und das ist die Kernbotschaft, ich blieb über die Nächte, und niemand konnte mich verscheuchen.

Was mir am allermeisten fehlte waren die Träume. In der ersten Nacht kam ich ohnehin kaum zum Schlaf. Ich verspürte ein argwöhnisches Misstrauen gegen die anwesende Nachtschwester in den Fünfzigern, was mich dazu bewog tunlichst kein Auge länger geschlossen zu halten als es nötig war. Frauen mit kurzen, blondierten Haaren in diesem Alter können freundlich, herzlich und nett sein, eine Mutterrolle einnehmen und liebende Zuversicht verströmen. Besagte Frau sah zwar äußerlich so aus und gab ein hübsches Bild oberhalb des Torsos her, innerlich dagegen fehlte es ihr entschieden an eben jenen charakterlichen und zutiefst menschlichen Attributen, gar in Hülle und Fülle. Heute würde ich sie in einem Satz beschreiben wollen: Sie war eine Frau mit Haaren auf den Zähnen - und ihre Zähne wirkten überaus verbraucht, wie der ganze restliche plumpe Körperbau, der so gar nicht geschaffen war, um den Kittel adrett auszufüllen. Ausgefüllt war er, ja augenscheinlich, ein wenig zu viel des Guten sogar. Weiblich erschienen andererseits ihre Beine zu sein, ihr Prunkstück offenbar, gebräunt und glattrasiert - oder war es doch nur eine hautfarbene Strumpfhose, die mich da blendete? Rassig, wie man so schön sagt, war keinesfalls ein Attribut für eine gelungene Beschreibung ihres Gesamtbildes; für mich damals, und mit großer Sicherheit wäre sie auch im Heute - fast 18 Jahre später - nicht mal einer dritten Wahl bei einem wirklich akuten Notstand würdig. Eine große, spät ansetzende Oberweite, die nahtlos in einem nicht zu vertuschenden Oberbauch überging - und danach, ja danach ging es flach bergab, so als hätte sie keinen Unterleib oder aber: eine passgenaue Stützbandage um das gebärunfreudige Becken. Vielleicht hatte sie nie Kinder bekommen können, und verdingte ihre Zeit hier, um den verlorenen Segen zu kompensieren, der Psyche willen. Ich beschreibe sie deswegen so detailverspielt, weil sie mich in der ersten Nacht betrügen wollte, so wie sie die anderen jungen Mütter betrog, ohne dass jene jemals davon erfahren würden. Deren Kindserzeuger waren nun mal nicht die Sorte von nebenbuhlendem Vater, mit dem sie zugange hätte kommen können, denn da war schlicht und ergreifend kein anderer Mann anwesend, außer halt mir. Ihre Aufgabe, die berufliche, bestand darin weinerliche Säuglinge zur Ruhe zu bringen, indem sie ihnen die abgepumpte Muttermilch verabreichte. Ich denke, in den meisten Fällen tat sie das sicherlich gewissenhaft, doch schnell war mir klar, dass sie den zwei anderen Neugeburten nach dem Zurneigegehen der natürlichen Nahrung ein unnatürliches Fläschchen Tee oral einflößte. Sie wollte die Frauen im Nebenraum nicht wecken, so ihre Aussage. Dass sie überhaupt ihre Handlungen erklären musste, lag an diesem Störkörper, der obendrein noch von Zeit zu Zeit es wagte zu sprechen - mir.
Um eine alte und schlecht erzählte Geschichte kurz zu halten: In meiner ersten Nacht, kauernd neben dem Sprössling, bestätigte dieses Etwas von "Schwester" meine Entscheidung in der Klinik zu übernachten in einem gehörigen Maße, wohlgemerkt ohne davon im Nachhinein ein Wissen darum zu haben. Schlecht bezahltes Personal mit nicht befriedigenden Trieben konnte und kann man, darf man, nicht und niemals über den Weg trauen. Sie zerdringen ihre Taten atemberaubend schnell. Und ich kann und darf das jetzt auch tun, nachdem ich das hier gesprochen habe.

Um exakt 20 Uhr entzünde ich auf ein Neues eine Kerze für meine verschiedene Hündin, mit Streichholz, und verweile für eine zerdrungene Zigarette dort - an ihrer letzten Ruhestätte. So paradox es klingt und so absurd der Vergleich anmutet, ich freue mich darauf wie ein Baby auf die Mutterbrust, wenn es ihm oder ihr hungert. Mein Verlangen daran ist ungebrochen.
      
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