Einundzwanzig Uhr Einundzwanzig am einundzwanzigsten Julei Zwanzigeinundzwanzig. Ich öffnete das Fenster und roch nach draußen, tauchte in die Luft ein und stellte mir vor, wie sich zwei wesensfremde Obstbäume im Winde doch ein wenig mehr als unscheinbar bewegten. Ihr Drang war meinem ähnlich, und so schwangen sie mit ein in die laue Melodie des Hauchs der zarten Sommerbrise. Der atmosphärische Gehalt dieses Schauspiels war auch für Unbeteiligte ergötzend. Korrektur: wäre gewesen, denn es war ja nur vorgestellt, und doch mehr real als das gedachte Szenario in echt.
In Wahrheit hörte ich zwei Stimmen, dazu Schritte und ein rollendes Fahrrad auf dem Asphalt, sah aber keinerlei Unruhestifter mit schiebenden Drahtesel(n). Hatte ich immer noch die Augen geschlossen? Nein! Wie konnte ich auch bei einer derartigen Störung, die mich aus meinem Tagtraum so erbärmlich und unverhofft riss? Zwar war mir klar, dass ich die redenden Gestalten erst erspähen würde, sobald sie in meinen Blickwinkel hineinfielen...; nun, dass sie es würden, da war ich mir ziemlich sicher. "Hinterhäusisch" vom Süden Kommende mit Zug gen Norden flanierten stets in mein Sichtfeld ohne davon zu wissen, von mir, von sich und so weiter. Ihnen war der zum Voyeur verdonnerte Unglücksmensch am Fenster im ersten Geschoss nicht bewusst, mir war andererseits alles sehr klar: Ich werde das ungleiche Pärchen bald zu sehen bekommen. Doch war das überhaupt [noch] notwendig?
Anhand ihrer Sprechweise, dem Ausformulieren der Worte, und dem ganzen anderen Anzeichen, die ich un- oder auskommentiert lasse, wurde mir sogar noch viel mehr [an] Klarheit geschenkt als es mir recht und lieb gewesen wäre. Die semi-bäuerische Art war und ist hierzulande ganz und gar nicht eine Ausnahmeerscheinung, kein Wunder bei dieser halb-ländlichen Gegend, die den Plebs fördert und die Bildung dabei in ein gutbürgerliches Nirwana streut, immer gegen den Strom und doch kommt in den seltensten Fällen ein Freigeist daraus hervor. "Äs Gfraasch könnasd griegn", "wenns da ned scho do wärd". Das sagten die [zwar] nicht, und wenn doch, hätte es mich gänzlich wenig überrascht. Ähnliche Dialekthäppchen kann man sich an Ort und Stelle bei der "Bäggera on an jedn Middwuch ina Woch" abholen, ganz "umsünsd" und die "Kiblfa", [...] die "bassn scho". "Ezadla waßd bschad"! Dazu gibt es das [...], rollende "R" der "Franggn" - "drei im Weggla" und "Sembfd" oben drauf. Diese Mundart... - sie ist mir ein Graus, und es tut mir unendlich leid sie erwähnt beziehungsweise ihr ein Zwischenspiel geschenkt zu haben, das den letzten Rest der Poesie aus meinen Munde würgt.
Apropos Mund: Das Maulfaule, was den Franken nur zu gerne nachgesagt wird, konnte ich aus meinen privaten Langzeitbeobachtungsstudien nicht ausgeprägt erkennen, und ich würde nach so vielen Jahren eher zum Gegenteiligen tendieren. Der Franke redet ausnahmslos mit Auswärtigen eher wenig bis gar nichts, nuschelig ist seine Aussprache ohnehin, die stets barsch-klingende Note rundet das Bild gelungen ab; im betrunkenen oder angeheiterten Zustand, bei "a bor zu fill Seidla am Doch über", schwadroniert er eher gar nicht mehr mit "seina Sbezis" oder mit ähnlich anlautenden Singsang-Geräuschen wie mit temporär "Zugreisda" im Normalpegel. Der Franke ist "ebend" durch die Bank "a nedder" Zeitgenosse, "des muss mer scho nuch sogn derfn".
"Neun auf Halber". Datum: unwichtig. Meine Vision ward Wirklichkeit [geworden]. Ein junger Bursche schob sein Rad auf Links, neben ihm - zu seiner Rechten - ein Mädchen. Unscheinbar in ihrem Aussehen waren sie beide, das rollende "R" beherrschten sie ebenfalls gar trefflich, den Verwandten und dem Umfeld sei gedankt. Wobei sie doch um einiges härter im Ton war als er - viel zu hart für die zarte Weiblichkeit -, und fast zu sanft kam er daher, für einen, ins adulte Alter reifenden Mann. Wie alt die Beiden wahrlich sind oder an jenem Tag waren, könnte oder, vielmehr, konnte ich beim ausschließlichen Zuhören lediglich schätzen. Noch war es keineswegs zu duster, um sie nicht in einem kurzen Moment von hinten beim forschen Schreiten zu erkennen - sie und ihn auszumachen -, ehe ich meinen Blick wieder angewidert anderen Eindrücken widmen würde. Wer will schon gerne ein spähender, heimlicher Beobachter sein?
Als sie am Straßenkreuz, mit den vier Knotenpunktarmen, ankamen, sah ich noch mal raus aus dem Fenster. Ich dachte, sie wären schon längst hinfort, doch dem war nicht so. Denn sie machten offensichtlich einen kleinen Stopp, bevor sich ihrer Wege in der oder die aufglimmenden Nacht trennten. So hörte ich unverhofft mit, als sie "deraweil" sagte: "Einen schönen Abend noch", worauf er entgegnete: "Dir auch", und dabei schwang er sich sogleich beherzt auf sein Rad, um es zum Fahren zu nutzen. Ihr Pfad ins angetraute Heim führte hingegen zu Fuß nach links - in die Niederungen des Plebs -, seiner gen oben - in die Siedlungen der Neureichen. Sie querte die Kreuzung diagonal von links unten nach rechts oben, so wie man es eben nicht im Kindergarten gelernt bekam. Er, auf der anderen Seite, war mit dem Einhalten der Straßenverkehrsregeln schon ein wenig mehr vertraut, fand aber dennoch bei der aufkommenden Dämmerung keinen offensichtlichen Grund dafür oder darin sein Licht an- oder einzuschalten. Ich denke, er dachte darüber gar überhaupt nicht nach - und sie tat wohl [bei sich] ihm unisono gleich [in der Sache des Nichtsdenkens]. Ich jedenfalls unterließ definitiv das Denken, denn in meinem Kopf sprach nur eine milde Stimme [zu mir]: "Ein allemal schönes Pärchen. Nur schade dass sie so ungleich sind [und sich dabei derart abmühen, ihren Dialekt zu verbergen]."
Nun will ich aber auf die Zirpen der Nacht warten. Ich mag das männlich-zarte Vibrieren der Grillen, die doch nur eines im heimlichen Sinn haben.
Nun will ich aber auf die Zirpen der Nacht warten. Ich mag das männlich-zarte Vibrieren der Grillen, die doch nur eines im heimlichen Sinn haben.