Der 18.12.2020 wäre der 5096. Tag gewesen. Er wäre. Er war und er wurde es aber nicht. Zwischen dem Tag 5092 und jetzt liegen drei Nächte hinter mir und fast vier Tage, je nachdem, wie man es zählen will. Sechsundsechzig Stunden davon fallen ab, in denen ich der festen Speise entsagte. Entsagen ist falsch, ich verzichtete darauf - und auch das trifft es nicht. Sagen wir daher: Es geschah einfach, und es war gut so.
Die allermeisten der Tagesstunden waren erträglich, verbrachte ich sie doch außerhalb der eigenen heimischen Gefilden. Die wenigen Minuten am Morgen, die Stunden der Abende und vor allem der Nächte waren allerdings überaus unerfreulich. Das Haus hat verloren und es gab keinen Gewinner.
Ein Michel Houellebecq veranschaulichte meinen Zustand aufs Trefflichste, als er in einem seiner Bücher gar beiläufig schrieb, dass es nicht die Gedanken an die Zukunft sind, die uns grämen lassen, sondern dass es die Gegenwart ist, die uns zergrämen lässt. Er benutzte natürlich nicht jenes alt anmutende Wort "zergrämen", dennoch, der Kern der Aussage ändert sich dadurch - durch mein abgeleitetes "Erinnerungszitat" aus seinem Werk "Serotonin" - nicht wesentlich, besonders passt es in jedem Fall in den Zusammenhang - in den meinen. Wortwörtlich schrieb er nämlich das Folgende: "Es ist nicht die Zukunft, es ist die Gegenwart, die dich tötet, die wiederkommt, um an dir zu nagen". Und es stimmt, ich habe es erlebt - in den Morgenmomenten, in den Hellphasen des Tages weniger oft, dafür dann wieder am Abend und es grämte mich die vergangenen Nächte hindurch. Ich bin auch nicht sonderlich zuversichtlich, dass sich in kürzester Zeit daran etwas ändern wird. Routinierte Gewohnheitsmenschen, wie ich einer bin - das gestehe ich mir immerhin ein -, tun sich hart bei abrupten Umstellungen, vor allem dann, wenn sie im hohen Maß selbst dafür die Verantwortung zu tragen hatten und immer haben werden. Das Gegenwärtige tötet, in jeder Sekunde ein wenig mehr.
Am Morgen des 5092. Tages stürzte meine alte Hündin auf den Weg nach draußen so unglücklich zu Boden, dass ihre Hinterläufe sich dabei "verixten", und danach war an Laufen nicht mehr zu denken. Da ihr allgemeiner Zustand, körperlich wie geistig, ohnehin bedauernswert war, traf ich binnen einer Minute des Bedenkens eine unwiderrufliche Entscheidung, die auf drei Säulen fußte. Auf zwei der drei Pfeiler will ich nicht tiefer eingehen, denn sie würden lediglich der gesellschaftskonformen Zierde dienen, praktische Beweggründe sozusagen. Sie alleine hätten mich niemals zu so einem rapiden Schritt bewegen können. Was kümmern mich Kosten und Mühen? Nein oder eher: Ja, sie sind mir einerlei. Ausschlaggebend war der tragende Eckstein, der vor Ewigkeiten gelegt wurde. Ein Traum, den man nie wieder wahr werden lassen sollte, präziser: darf. Davon war und bin ich überzeugt und davon will ich erzählen; nicht von ihrem Tod durch die Giftspritze, ihrer stillen Beisetzung, an der nur ich ganz alleine - aus trauriger Inbrunst - partizipierte. Niemand anderes sollte anwesend sein, das war mir ungemein wichtig: Der Spaten, ihr Leichnam, die Grabbeigaben und ich bis zum Sonnenuntergang.
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