"Ah", wie "Ahh, zu Hilfe, eine Ahhh-Klasse" wollte ich schreien und dabei mit emporgehobenen und wild gestikulierenden Arm- und Handgebaren - ähnlich wie die Figur Olivia bei Popeye - davonrennen, tat es aber nicht. Es waren drei Monate vergangen und ich hatte in meiner unbeschwert-jugendlichen Art die Vorkommnisse des letzten Jahres schon längst nicht mehr im Sinn und ebenso niemals so etwas auf den Schirm, was mir seinerzeit dargeboten wurde. Apathie war mein einziger Helfer. Wenn ich jetzt ein männliches Abbild von Olivia wäre und meine Rot-Reinkarnation der Marlene Dietrich eine weibliche Version des spinatessenden Seemanns, ja dann, wäre der Fall geritzt. Ich könnte es tun, schreiend zu ihm/ihr laufen. Doch weder war ich Olivia noch sie Popeye. Vor allem aber: Sie war nicht da. Während ich in der Folge in der Abteilung verharrte, wo sie im letzten Jahr ihre Ausbildungszeit verbrachte vergeudete, war sie weit ab vom sprichwörtlichen Schuss, im anderen Gebäudedistrikt, da wo die Verwaltung sich selbst verwaltete. Eine Tragödie, für mich, und möglicherweise auch für sie.
In diesem Bilde stand da mitten auf dem überdachten Hof des Wareneingangsbereichs kein "Purzel" (verniedlicht: "Purzelchen") herum, sondern, für mich, ein Bluto oder vielmehr - der laut Comic-Reihe, und mit diesem Namen bekannter-gewordene, Zwillingsbruder - ein Brutus alias known as "A Big Brute". Unter solch abstrahierenden Verhältnissen blieb jegliche Komik außen vor, für mich. Für den Großteil der Anderen, anwesende Arbeiter und die Bürokräfte, hieß es die Etikette zu wahren und sich das Lachen tunlichst zu verkneifen. Deren Verhalten sollte mir eine Lehre in der Lehre für alle Zeit danach werden. Es ist zutiefst menschlich ein gegenteiliges Verhalten an den Tag oder den Moment zu legen, anstatt erwartet auf Begebenheiten oder Situationen zu reagieren. Es ist die hohe Schauspielkunst des Lebens und sie sitzt im Parkett, dort wo in aller Regel die Breite der Gesellschaft abgebildet wird und ihren festen Platz verankert bekam. "Purzel" war mit seiner Besitzerin auf der Bühne und ich wünschte mir alles andere als inmitten der Zuschauerreihen zu verweilen. Nur ein Schritt nach hinten und ich wäre schon im rückwärtigen Bereich, einer der sich von der Masse etwas absetzt. Besser und lieber gewesen wäre mir aber ein feiner Platz in der Loge mit eigenen Ein- und vor allem Ausgang. Vielleicht gar mit einem Fahrstuhl, zumindest mit direktem Zutritt ins Foyer. Ich wünschte mir nichts mehr als dies. Ein Flötenglas voll Sekt oder, besser noch, Champagner aus der Tulpe mit meiner Marlene, weit ab vom Geplänkel des Geschehens. Ja, das wäre der ideale Ort mit der perfekten Wiedergeburt Dietrichs geeignet zu schäkern, und es wäre auch ein ausgemacht guter Zeitpunkt ihr Avancen zu machen, um in meiner Vision am Ende im hintersten Winkel der Garderobe zu landen - für alles weiter darauf Folgende zwischen ihr und mir.
Mein Gedankenkarussell fuhr schon auf Hochtouren, da knallte es plötzlich und ich war wieder in der Realität, der vermeintlichen. Ein Korken landete am Eisengerüst der Decke der "Hofhalle", Tauben flogen erschrocken in alle Richtungen davon und unmittelbar danach floss schon der edle Sprudel über die Windschutzscheibe des Vehikels auf vier Mini-Rädern. Innerlich schüttelte ich mich, noch war ich mir nicht sicher, dass dies soeben tatsächlich geschah. Ein ex abrupto eintretendes Frösteln überzog meine in Kleidung gehüllte Haut und ich schüttelte mich nun wirklich. Beileibe, wenn die Protagonistin jetzt noch an jedes Rad Spritzer des Discounter-Gesöffs abgeben würde, dann wäre jenem "Purzel" das gewünschte Glück für die Ewigkeit hold. Kaum gedacht, schon geschah es. Und um eine lange Geschichte kurz zu halten: Hier begann nicht die Reise eines Wagens, sondern vielmehr meine eigene. Die groteske Taufe war für mich ein Neubeginn in einer bis dato gänzlich unbekannten Welt, einer düsteren Vorstellung voller fahrender A-Klasse-Fetischisten auf den Straßen des Bundesgebietes und darüber hinaus, die sich über die Jahre mannigfaltig bewahrheiten und behaupten würde.
Der Elch war angekommen, der Kelch ging nicht an mir vorüber, und beide waren hässlich wie gefährlich gleichermaßen. Den Elch braucht man nicht beschreiben, den Kelch dagegen schon. Er war dreigeteilt im Aufbau. Unten ein auffallend ausladender Fuß, in der Mitte ein schmaler Schaft, darüber die bauchige Hohlform als Aufsatz. Der Schaft war das Kernstück, er trug die kurze Kuppa [Trinkschale] auf einem u-förmig gewölbten, zweischneidigen Doppelmesser aus Carbon; ähnlich dem klassischen "Buntmesser", im speziellen Fall der Rücken zickzackförmig, und gegenteilig die Wellenschneide. Die spitzen Enden waren beidseitig lang und ragten einige Zentimeter über die Trinkschale [Kuppa] gerade nach oben. Setzt man [zum Trinken] falsch an, so würde es blutig und könnte sogar tödlich enden. Setzt man dagegen richtig an, so kommt man in den Genuss und auch zur Möglichkeit, nach dem Leeren des Inhalts, den gesamten Kelch herumzudrehen, um ihn beispielsweise kopfüber in einen Holztisch zu rammen. Tat man letzteres, offenbarte sich einem die eingeritzte Inschrift, die mit großen Lettern verlautete: "A 140". Und darunter etwas kleiner die geheime Botschaft, der Wink mit dem Zaunpfahl: "Lauf oder verharre!"
Ich trank vom Kelch. setzte richtig an und verinnerlichte die Aussage. Sehe ich heute ergo ein Vehikel dieser Art, so gibt es nur zweierlei Affekte, die auf mich übergreifen: Flucht oder Zuflucht. Die Flucht ist flott, die Zuflucht sucht in der Verharrung den Schutz. Ich stehe zu meiner speziellen Art der Amaxophobie und gehe heute ganz normal mit dieser um (sic!). Ich bin sehr froh mir jene Autoklasse als die unberechenbarste Maschine meiner kleinen Welt auserkoren zu haben. Heute kenne ich sie nicht nur als Beobachter, sondern auch als Insasse, Beifahrer und tatsächlich auch als selbsttätiger Fahrer (einmalig!). Ich weiß von der annehmlichen Gefahr, die von ihr ausgeht, wie der vorgeblichen Sicherheit, die man ihr attestiert. Daher (rührt) mein Kredo (bei dieser persönlichen Verschwörung [her]), das so geht: "Passe du auf dich auf, passt ihr auf euch auf, so wie ich es auch tue - auf mich selbst aufpassen!"
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